Gustav-Freytag-Straße 1, II. Aufgang
Ein weichgekochtes Ei
Am Morgen.
Sonne durchs Fenster
Das Ei oben abpellen.
Das Aktiv hospitiert
Mit Radiomorgenpissmusik;
ein frischer Kaffee
und der Pfingstkuchen
aus Pfaffenhofen.
Der gute Rosinenkuchen
Gebacken im Zeichen eines
Gebärmutterkrebses.
Neben mir Henry Miller
(„Tilgt diese Straße für immer aus meiner Erinnerung –
es ist nicht eine Spur Sinn in ihr“)
und der lachende Knabe
Konfurzius
Ein Schelm & Mümmelhäschen zugleich.
Getragen von dem nicht minder lachenden
sinnlichen Elfchen Ildiko.
Und ich pelle das nächste
weichgekochte Ei auf,
drehe einen leichten Joint,
gieße frischen Kaffee auf,
öffne die Tür zum Balkon im 3. Stock
der Gustav-Freytag-Straße
für Sonne, Luft, Straßenbrandung
und einzelne Vogellaute am Morgen.
Manfred Aulbach,
Berlin im Mai 69.
(Die Gustav-Freytag-Straße liegt bei der S-Bahn-Station Schöneberg, die damals ihren Dornröschenschlaf schlief, weil sie nicht in Betrieb war. „Das Aktiv hospitiert“ – es handelte sich um einen DDR-Sender. Eine Betriebsgruppe (das Aktiv) war an dem Morgen-Programm beteiligt).
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